Demokratiekonferenz in Landenhausen für Ideen des Bündnisses „Demokratie leben“

VOGELSBERGKREIS (pm). Seit vielen Jahren bereits ist der Vogelsbergkreis Teilnehmer an den Bundesprojekten für Demokratie und gegen Rassismus. Auch für das aktuelle Programm „Demokratie leben“ wurde er – wie die Stadt Alsfeld - wieder ausgewählt und erarbeitet in einem großen Netzwerk Projekte zu gesellschaftlich relevanten Themen. Die Veranstaltung mindestens einer Demokratiekonferenz pro Jahr ist eine Vorgabe der Statuten des Bundesprojektes. In diesem Rahmen hatten die Fachstellen für Demokratie der Stadt Alsfeld und des Vogelsbergkreises am vergangenen Samstag zur Demokratiekonferenz in das Kreisjugendheim Landenhausen eingeladen, um gemeinsam mit dem Jugendforum „Demokratie leben“ Informationen zu den Themen „Flüchtlinge und Fluchtursachen“, „Entwicklungen der rechtsextremen Szene“ und „Islamismus und Salafismus in Hessen“ zu erhalten und daraus Projekte zu entwickeln, die in der Region umgesetzt werden können.

„Fit machen in Zeiten, in denen viel passiert“, nannte es Moderatorin Katja Stephan, nachdem die Projektverantwortliche Silvia Lucas etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie vier Referentinnen und Referenten und Vertreter der politischen Gremien, darunter Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule und Stadtrat Jürgen-Udo Pfeiffer, begrüßt hatte. „Es geht heute darum, Inhalte und Ideen zu vermitteln“, so Stephan, die als ersten Referenten Christian Hendrichs an den Rednertisch rief.

Hendrichs ist seit Jahrzenten aktiv in der Flüchtlingsarbeit tätig, u. a im Hessischen Flüchtlingsrat. Er sprach zum einen über die verschiedenen Fluchtursachen, für die er auch entsprechende Beispiele aufführte: Ökonomische Fluchtursachen, also bittere Armut in den Herkunftsländern, resultierten auch aus ungerechten Handelsabkommen der reichen Staaten mit den ärmeren Ländern, berichtete er. Dürrekatastrophen in Afrika rührten oft von ökologischen Ursachen her. Ein weiterer Grund, warum Menschen ihr Land verlassen, sind die politischen Zustände in den Herkunftsländern. Eritrea mit seiner Militärdiktatur ist dafür ein aktuelles Beispiel. Der Hauptgrund, der derzeit die meisten Menschen – beispielsweise aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan - in die Flucht treibt, ist Krieg oder sind kriegerische Zustände. Flucht vollzieht sich in kleinen Schritten, legte Hendrichs dar: von der ersten Entwurzelung aus dem Dorf oder der Sippe bis hin zum notgedrungenen Verlassen des Landes und dem Weiterzug nach Europa. In Zahlen bewirken diese Ursachen, dass derzeit 60 Millionen weltweit auf der Flucht sind; 1,5 % dieser Menschen sind in Deutschland angekommen. Keine besonders große Leistung, fand der Referent, der auch das Procedere der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland erläuterte und angab, wo die Probleme liegen, welches Konfliktpotenzial in den unterschiedlichen Anerkennungsstatus liegt und auch in dem Zeitfaktor bis zur Bewilligung oder Ablehnung eines Asylantrages. Lösungsansätze sind nach Meinung dieses Referenten ein schnelles und gutes Angebot an Deutschkursen, die Integration auf dem Arbeitsmarkt und die Begegnung mit den Flüchtlingen. Nicht zuletzt dadurch könnten Nachrichten, Meinungen und Informationen – ob seriös oder ungefiltert in den sozialen Netzwerken – mit Leben gefüllt oder entkräftet werden.

Dazu passend präsentierte der nächste Redner, was sich derzeit an rechter Propaganda in der Öffentlichkeit und im Netz tummelt. Helge von Horn, Experte für Rechtsextremismus im Beratungsnetzwerk Hessen, stellte dar, wie der Rechtsextremismus in Hessen aktuell aussieht und welche Mittel er anwendet. Organisierte Rechtsextreme finden sich in ganz Hessen, so die Feststellung von Horns, der anhand eines Schaubildes die Aktivitäten verschiedener Parteien und Gruppierungen (NPD, Der III. Weg, Kameradschaften) vorstellte. Allesamt seien sie mit relativ wenig Erfolg und Gefolgschaft in Hessen tätig, berichtete der Referent, sie arbeiteten allerdings kontinuierlich und auch gemeinsam mit neuen extremrechten Bewegungen. Von Horn nannte hier die „Identitäre Bewegung“, die zwar von ihrem Auftreten her versucht, sich von der NPD abzugrenzen, dennoch ganz klar rechtsextreme Inhalte verbreitet und gerade im Internet einen großen Zulauf hat. Auch die „Reichsbürger“, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen und sich als Bürger des Deutschen Reiches wähnen, nutzen in ihren Auftritten nationalsozialistische Zeichen und sind, wie bereits mehrfach in den Medien berichtet wurde, mehr als Spinner oder Verschwörungstheoretiker: Sie legen inzwischen ganze Verwaltungen lahm und bergen in der Tat ein hohes Gewaltpotenzial gegenüber dem Staat. Seit 2013 habe sich der Salafismus zum Hauptagitationsfeld der extremen Rechten entwickelt, führte von Horn weiter aus. Vereinigungen wie HOGESA und PEGIDA (auch in ihren lokalen Ablegern) nutzten die Angst der Bevölkerung vor extremen Islamisten und erhielten mit der AfD einen politischen Arm. Aktuelle Auswüchse dieser Gesinnung sind die Angriffe gegen Asylbewerber und ihre Unterkünfte, wie sie gerade in den letzten Monaten vielfach gezählt werden konnten. Nährboden für eine rechtsextreme oder zumindest rechtspopulistische Haltung sei – wie man am Programm der AfD erkennen könne – ein tiefes Misstrauen und Verachtung gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Als wirksames Propagandawerkzeug der Rechtsextremen hat sich das Internet, und hier speziell die sozialen Medien, erwiesen: Gerüchte über Straftaten, Ausschreitungen oder nur horrend hohe Bezüge von Flüchtlingen machen die Runde und setzen sich nachhaltig fest – im Netz und in den Köpfen.

Spätestens hier identifizierte die Gruppe zwei klare Projektziele für sich: Den qualifizierten Umgang mit Medien, speziell die kritische Würdigung von Internetbeiträgen, zum einen und politische Bildung und Vermittlung demokratischer Werte zum anderen. Bevor die Gruppen jedoch in ihre Arbeit einstiegen, sprachen zwei Mitarbeiterinnen des Violence Prevention Network. Sie stellten die Aktivitäten der Beratungsstelle Hessen dar, und erläuterten ihre Angebote an Jugendliche und junge Erwachsene, die von Extremismus bedroht sind oder die bereits Straftaten mit extremem Hintergrund verübt haben. Thema an diesem Tag waren speziell islamistische Extremisten, Salafisten also. Die geladene Expertin zu diesem Thema, selbst Muslima und Religionswissenschaftlerin, legte dar, wie eine Auslegung des Koran zu solchem Gedankengut führen könne, allerdings betonte sie auch, dass die von gewaltbereiten Salafisten vertretene Auffassung nicht den Werten des Islam entspricht. Warum es überhaupt gelingt, Jugendliche für eine derart extreme Haltung zu begeistern, legte die Sozialwissenschaftlerin im Team dar: Radikalisierungsverläufe seien zwar individuell, häufig aber treffe man auf Kriterien wie das einer fehlenden oder aggressiven Vaterfigur, einer eher bildungsfernen Sozialisation oder einer Herkunftsfamilie mit Migrationshintergrund. In den Gruppen träfen die jungen Menschen auf Verständnis und Akzeptanz. Mehr und mehr werde die Ideologie zur Identität, was man an verschiedenen Aussagen der Betroffenen und an Reaktionen gegenüber ihrem Umfeld wahrnehmen könne. Was hier hilft? Ehrliches Interesse und vorurteilsfreies Zugehen auf die Menschen und ein aufrichtiges Gespräch führen. „Es gilt hier wie überall“, so das Fazit der beiden Referentinnen, „der Schlüssel ist die Beziehung: Ohne Beziehung kein Dialog.“

Jede Menge Input war das ganz offensichtlich für die Teilnehmer der Demokratiekonferenz, allesamt Mitglieder im Netzwerk Demokratie Leben, Menschen, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, und natürlich die Jugendlichen selbst, die im Jugendforum „Demokratie Leben“ organisiert sind. In zwei Arbeitsgruppen – eine davon das Jugendforum – ließen die Teilnehmer ihre Eindrücke des inhaltsreichen Vormittags Revue passieren und entwickelten vielfältige Projektideen. Fast spontan entstand bei der Präsentation das Bild von einem Haus, das verschiedene Räume – Aktivitäten – beherbergt und als übergeordnete Einheit nicht nur die Begegnung mit Flüchtlingen hatte, sondern die Einbindung der Flüchtlinge in die Organisation einzelner Projekte. Diese stellten zunächst die Jugendlichen vor: Sie hatten die Idee eines Internationalen Wochenendes in Landenhausen, das weiterwirken soll. Sie wollen Unterschriften sammeln, um Gesicht für Demokratie zu zeigen. Sie planen einzelne Workshops und Aktionen, die schließlich im Rahmen eines Festivals vorgestellt werden sollen. Darüber hinaus möchten sie eine Podiumsdiskussion veranstalten und eine Facebook-Aktion, die rechtsextreme und populistische Inhalte identifiziert und zur Diskussion stellt. Besonders bei den letzten beiden Punkten trafen sich die Ideen der Jugendlichen und Erwachsenen. Letztere hatten in ihrer Gruppe leidenschaftlich die Frage diskutiert, wie sich kommunale Politik positioniert, etwa dann, wenn demokratische Werte – wie aktuell in der Beziehung zu der Türkei – dem politischen Konsens geopfert werden. Eine Podiumsdiskussion auf dem Alsfelder Marktplatz könne hier sicher auf großes Interesse stoßen, war man sich einig. Viel Applaus gab es von den Teilnehmern dieser Gruppe für die Idee mit der Facebook-Aktion, sah sie hier doch einen guten gemeinsamen Ansatz für den Bereich Medienkompetenz. Weitere Ideen waren hier ein Fokus auf politischer Bildung, mit der man die Jugendlichen auch erreicht, sowie Methodenschulungen und Fortbildung der Akteure.

Am Ende eines arbeitsreichen Tages konnten Moderatorin Katja Stephan und Projektverantwortliche Silvia Lucas auf viele gute Projektideen für die Zukunft und auch noch das laufende Jahr blicken. Nun wird sich zeigen, wie die Umsetzung in den einzelnen Gruppen gelingt und öffentlich wirksam wird.